Liebe Leser,
letzte Woche habe ich mein bisheriges Meisterstück vorgestellt – den roten Kaschmir Trenchcoat.
An diesem Mantel habe ich wirklich lange gearbeitet und viele Stunden genäht, denn ich habe mir zu Beginn vorgenommen ein Couture Teil daraus zu machen. Ich wollte unbedingt die hohe Kunst der Schneiderei erlernen, welche ihren Ursprung in der klassischen Herrenmaßschneiderei hat.
Mit einem Buch* bewappnet und ein paar Tipps von einigen Schneiderinnen, die mich alle für verrückt erklärt wegen meines Vorhabens, habe ich mich regelrecht durchgekämpft.
Was mir jedoch nicht bewusst war bei diesem Projekt.. nicht nur die Technik an sich war ein kompliziertes Unterfangen, sondern auch die Materialbeschaffung. Denn wer hält schon Materialien für längst aus der Mode gekommene Verarbeitungsmethoden auf Lager.
Als erstes kam Rosshar als Einlage ins Spiel. Hierbei handelt es sich um eine sehr stabile Einlage mit enormer Sprungkraft, die mit Handstichen fixiert wird. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sie sich besonders gut für Jacken und Mäntel und sorgt für ein schönes Revers und einen schönen Fall.
Das Revers
Der Oberstoff wird dabei ähnlich wie beim Blindsaum nur minimal mitgefasst, so dass die Stiche auf der Außenseite nicht zu sehen sind. So erzeugt man eine Spannung, die dem Kleidungsstück ein Leben lang erhalten bleibt. Das könnt ihr auf diesem Bild besonders gut sehen:
Der Kragen
Auch hier wird mit Rosshaar gearbeitet. Allerdings schneidet man die Teile des Unterkragens im schrägen Fadenlauf zu und näht sie in der hinteren Mitte aufeinander.
Die Ärmel
Auf dem Bild seht ihr das linke Armloch am Rückenteil. Bevor der Ärmel eingesetzt wird, hält man die rückwärtige Ärmelnaht mit einem Kettenstich aus Heftgarn ein. So erreicht man, dass der Mantel schön anliegt und keine Schrägfalten im Rücken zieht.
So sieht es aus, wenn der Ärmel eingenäht ist (Blick von oben in den Ärmel):
Ihr könnt vielleicht erkennen, dass sich wesentlich mehr an der Stelle befindet als nur der Ärmel. Zusammen mit dem Ärmel werden gleichzeitig Ärmelfische eingesetzt (hier ein Beispiel für einen fertigen Ärmelfisch). Sie haben die Aufgabe die Armkugel schön auszuformen und zu verhindern, dass der Ärmeleinfällt und somit Falten entlang des Arms wirft. Zu guter letzt wird noch das Schulterpolster eingesetzt.
Die Saumverarbeitung
Zur guter letzt zeige ich euch die Säume:
Auch hier wurde einiges getan, um den Fall des Mantels möglichst günstig zu beeinflussen und mit einer Einlage aus Seidenorganza unterlegt. Im Vergleich zu Rosshaar ist sie weniger steif, aber dennoch in der Lage für eine ausreichend Stabilität an Rückenteil und Ärmelndas zu sorgen ohne Durchzudrücken.
Ihr seht, in dem Mantel ist so einiges verborgen und viele werden sagen, lohnt sich der Aufwand? Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist, denn schließlich ist der Zeitaufwand enorm.
Auf die Rosshaareinlage würde ich jedenfalls nicht mehr verzichten wollen, bei einem Mantel oder einer Jacke. Der Unterschied zur Vlieseline ist deutlich spürbar. Rosshaar hat eindeutig einen schöneren Fall. Auch das Pikieren des Kragens und des Revers lohnt sich. Was ich auf keinen Fall mehr machen werde: Durchschlagen mit Heftgarn (Tailor Tacks)! Das ist purer Wahnsinn.
Was sind eure Erfahrungen mit der hohen Schneiderkunst? Was lohnt sich für euch bzw. auf welche Technik verzichtet ihr nur ungern? Ich freue mich über eure Meinungen.
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Lieben Gruß,
* Julia
Wow, ich bin ganz platt wieviel Mühe und Arbeitsschritte in deinem Mantel stecken! Das ist ja schon eine Wissenschaft an sich 😉 Das Endergebnis ist auf jeden Fall wunderschön.
Allerdings bin ich ein bisschen skeptisch, was den Nutzen der hohen Schneiderkunst betrifft. Ich hatte ja schon mal erwähnt, dass ich eine handwerkliche Schneiderausbildung gemacht habe. Pikieren habe ich damals auch noch gelernt, allerdings nur für die Prüfung, im normalen Alltag wurde das gar nicht mehr angewendet. Meiner Erfahrung nach verschwindet die durch das Pikieren erzeugte Wölbung auch recht schnell wieder. Das kann man auch durch einen kleineren Unterkragen erreichen. Für mich ist das daher nichts, aber schön, wenn du daran so Freude hast.
Liebe Grüße
Julia
Danke 🙂 Ich muss gestehen, das Pikieren ist so schön meditativ.. das mache ich gerne 😉 Der Langzeittest steht allerdings noch aus, ich hoffe es bleibt noch etwas erhalten.
LG Julia
Du meine Güte!
Welch eine Mühe Du Dir gemacht hast. Nochmals allen Respekt, dein Mantel ist Dir hervorragend gelungen, und dann auch noch in dieser Farbe.
Liebe Grüße
Susan
Dankeschön, liebe Susan.
Ein toller wunderschöner Mantel. Ich bin total beeindruckt! Die Mühe hat sich wirklich gelohnt. Sehr schön.
Ich taste mich derzeit auch an die hohe Schneiderkunst heran. Ich nähe gerade eine an Chanel angelehnte Jacke. Dabei habe ich festgestellt, dass viele der verwendeten Techniken und Materialien tatsächlich zu einer besseren Passform führen, auch wenn sie sehr aufwendig sind. Ich habe auch das Nähen mit der Hand lieben gelernt. Und Geduld. Aber ich lasse auch einige der Techniken weg oder vereinfache sie, wie das Durchschlagen mit Heftgarn oder handgenähte Knopflöcher. Aber eine Jacke an den richtigen Stellen mit dem richtigen Material zu verstärken, macht extrem viel aus.
Liebe Grüße
H.
Dankeschön 🙂
Deinen Blog habe ich gleich mal gespeichert, denn die Chanel-Jacke möchte ich auf keinen Fall verpassen. Ich wünsche dir viel Spaß und Geduld beim Nähen.
LG Julia
Wie interessant! Danke für die Erklärungen und Fotos! 🙂 Ich habe ja auch irgendwann mal vor das alles auszuprobieren. Könntest du uns vielleicht auch verraten, wo du die Materialien gefunden hast, falls es ein Online-shop war? Das wäre super.
Liebe Maike,
ich hatte Glück und konnte einige Materialien vor Ort in Frankfurt kaufen. Dort gibt es den sehr traditionsreichen Kurzwarenladen "Wächtershäuser" in der Töngesgasse. Ansonsten findest du Rosshaareinlage & Ärmelfische sowie gute Schulterpolster auch bei Online-Shops wie aachen-stoffe.de oder textil-zutaten.de
Lieben Gruß,
Julia
Schockverliebt. Was ein Mantel!! Klasse. Und so viel Arbeit reingesteckt… Großes Kompliment.
LG, Sandra
Danke 🙂 LG Julia
Sehr schöner Mantel und beeindruckende Dokumentation! Vielen Dank, das inspiriert auf jeden Fall
Lieben Gruß Tina
Liebe Tina, das freut mich sehr, wenn ich Inspiration liefern kann.
Gruß,
Julia
Wow, das ist ja der Wahnsinn! Sehr schön, dass Du uns mal das Innenleben Deines Prachtstücks zeigst. Ich finde das immer sehr aufschlussreich und lerne gerne dazu! Vielen Dank für die ausführliche Beschreibung und die vielen Fotos! Noch viele nette Komplimente für Deinen tollen Mantel wünscht Dir Mrs Go
Das freut mich, dass die Bilder einen Mehrwert bieten. Ich habe während des Projektes auch viele Bilder im Internet gesucht, um weiterzukommen.
Liebe Grüße
Was für ein wunderschöner Mantel!!! Im wahren Sinne des Wortes ein Meisterstück! Ich fand es sehr spannend zu lesen, was du zu den verwendeten Materialien und Techniken geschrieben hast. Nach dem Lesen noch einmal mehr: Chapeau!
Liebe Grüße
Christiane
Danke, liebe Christiane 🙂
Bewundert habe ich deinen Mantel ja schon und die sorgfältige Handarbeit war sicher mühsam, aber das Ergebnis überzeugt. Interessant und informativ, dass du es so ausführlich zeigst.
Merci und lG von Susanne
Was für eine Arbeit, aber bei diesem Ergebnis hat sich das gelohnt.
Grüßle Bellana
Ich habe bisher nur Seidenorganza als Unterlage verwendet. Mir gefiel sehr gut, dass man die Nahtzugaben an der Unterlage befestigen kann. Dadurch bleiben sie in der richtigen Position und können sich nicht zusammenknautschen.
Einen Trageunterschied habe ich allerdings nicht feststellen können.
LG Martina
Ja das ist in der Tat ein ziemlicher Vorteil! Das kam vor allem bei meinem Chanelkleid zum Tragen.
Hallo Julia, ein sehr inspirierender Post, ich finde sowieso dass alte Handwerktechniken erhalten werden sollen, und es ist auch eine schöne Abwechslung zu schnell genähten Shirts… Einen Kurs habe ich schon geschaut, welches Buch hast du denn genutzt? Freue mich auf weitere Projekte von dir! Katja.
Hallo Katja,
danke für den schönen Kommentar. Ich habe mich vor allem am Buch 'Vintage Couture Tailoring' entlang gehangelt.
LG, Julia
Das ist so ein schöner Mantel, Julia, und sicher hat Deine aufwendige Technik auch zum guten Sitz beigetragen. Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn man etwas so gut Gearbeitetes tragen kann. Ich selbst bin allerdings erst mal froh, wenn ich mit der üblichen Nähkunst vorwärts komme 😉
Liebe Grüße, SaSa
Hallo Sasa,
es stimmt, es ist ein tolles Gefühl. Meine nächsten Projekte werden auch erstmal wieder etwas einfacher 😉
LG Julia
Hallo Julia, ehrlich gesagt, wird mir ganz schwindelig beim Anblick Deiner Bilder! Aber wenn ich richtig gelesen habe, dann verfolgst Du auch ein anderes Ziel als ich mit Deiner Schneiderkunst ;o) Definitiv hast Du ein tolles Teil designt! Viele Grüße, Tanja
Also ich bin echt sprachlos! Was für eine Arbeit, aber was für ein wahnsinns Ergebnis! Richtig gute Handarbeit zahlt sich eben aus! Immer!
Liebe Grüße
Lina
Hallo Julia,
nachdem ich deinen Mantel bereits gelobt habe, will ich dir mein Kompliment für deine präzise Arbeit des Innenlebens aussprechen. Ich habe sogar alte Lehrunterlagen vorgeholt 🙂 Es würde mich wirklich interessieren, ob all diese Techniken in diesem Umfang heut wirklich noch Anwendung finden. Offensichtlich scheinst du dich mit der Thematik Haute Couture intensiv zu beschäftigen, so dass du mich hoffentlich aufklären kannst. Es interessiert mich ehrlich 🙂 Worüber ich mich aber wirklich wundere ist deine Aussage, auf den Durchschlagstich zukünftig zu verzichten. Gerade bei solchen Großprojekten finde ich diesen unbedingt geeignet. Ich arbeite noch immer damit.
Deine Absteppungen muss ich auch unbedingt noch mal loben. Besser geht nicht, riesengroßes Kompliment. Kann ich das richtig erkennen, hast du die Löcher für die Gürtelnadel auch mit der Hand gestochen? Deine Knopflöcher sind wirklich eine Augenweide. Hier möchte ich mich für deinen Hinweis auf den Herrenmaßschneider bedanken. Genauso habe ich das in meiner Ausbildung gelernt. Es war daher ein Vergnügen, das Video anzuschauen. Lieben Dank auch für deinen vielen Tipps zu Materialeinkäufen. Wir sind im April in Frankfurt, da werde ich den Wächtershäuser aufsuchen. Auf jeden Fall bin ich gespannt auf deine weiteren Projekte. Ich freue mich jetzt schon auf dein Kleid zur Hochzeit (?), wofür du die gelbe Spitze gewählt hast.
Ganz liebe Grüße
Birgit
Liebe Birgit,
wow du hast wirklich nochmal die Lehrunterlagen rausgeholt?! 😉 Die Techniken finden hauptsächlich noch Anwendung in der klassischen Herrenmaßschneiderei. Aber auch hier gibt es nur noch wenige Schneider, die tatsächlich mit der Hand pikieren. Selbst dafür gibt es Maschinen.
Was ich hin und wieder gerne mache.. ich stöbere oft auf Pinterest nach Bildern und Blogs, die man unter den Stichworten "inside Haute Couture" findet. So erhält man immer mal wieder interessante Einblicke ins Innere der Kleidungsstücke und die oft ausgetüftelten Konstruktionen. Die Knopflöcher und die Augen habe ich mit der Hand gestochen. Eigentlich aus der Not geboren, aber schon nach dem ersten schönen fertigen Knopfloch war ich total angefixt vom handgenähten Knopfloch. Die Maschine hätte mir nur den Stoff ruiniert. Mal davon abgesehen, dass meine Näma auch nur Wäscheknopflöcher kann. 😉
Ich wünsche dir schonmal im Voraus ganz viel Spaß in Frankfurt!! .. und wenn du noch ein paar Stoffeinkauf Tipps brauchst.. meld dich gerne 😉
Liebe Grüße,
Julia
Heiliger, da hast du herrlichen Aufwand betrieben. Die Adresse mit den Textilzutaten habe ich gleich mal abgespeichert und das mit der Rosshaareinlage möchte ich auch mal ausprobieren. Tolle Dokumentation der Arbeitsschritte.
Seidenorganza möchte ich auch mal nutzen, habe ich in einem Buch neulich gesehen.
Toller Mantel. An dem wirst du sicher viele Jahre Freude haben.
Gruß
Ursula
Liebe Ursula,
danke für die Komplimente. Ich freue mich, dass ich dich für die Techniken begeistern konnte.
Viel Erfolg bei dem nächsten Projekt mit Rosshaar! Darf man fragen, was es wird?
Liebe Grüße,
Julia
Hallo, aus zeitlichen Gründen verwende ich seit ein paar Jahren Rascheleinlage. Erfüllt genauso den Zweck. Auch für das Rückenteil. Lässt sich gut aufkleben. Das Rosshaar benutze ich für Kragen und Revers.
Tolles Rot. Grüße Anja